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75. Jubiläum des Landesjugendringes Rheinland-Pfalz

75 Jahre Landesjugendring Rheinland-Pfalz – Dieses Jubiläum haben wir im Sommer 2023 groß gefeiert! Neben Vertreter*innen der Mitgliedsverbände, ehemaligen Akteur*innen der Jugendarbeit und wichtigen Personen aus Politik und Gesellschaft feierten die damalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Ministerin Katharina Binz mit uns auf dem Gelände der Christuskirche in Mainz. Die Mitgliedsverbände beteiligten sich an dem Fest mit kreativen Ständen und künstlerischen Darbietungen. Während in der Christuskirche ein vielfältiges Bühnenprogramm mit Grußworten, Quiz, Musik und Tanzeinlagen geboten wurde, konnten die Besucher*innen auf dem Außengelände die Mitgliedsverbände mit Spiel und Spaß besser kennenlernen. Ein besonderes Highlight: Die Jugendfeuerwehr fuhr mit Martinshorn und Löschzug vor, um ihre Glückwünsche zu überbringen.

Anlässlich dieses Jubiläums laden wir Euch ein, mit uns auf eine Reise durch die Geschichte des Landesjugendringes Rheinland-Pfalz zu gehen – von den Anfängen in der Nachkriegszeit bis heute!

Die Gründung: Ein Neuanfang für die Jugendarbeit

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Auflösung der nationalsozialistischen Jugendorganisationen stand die Jugendarbeit vor einem Neuanfang. In Rheinland-Pfalz gründeten sich ab 1948 neue Jugendverbände, die sich auf Landes- und Bundesebene zu Jugendringen zusammenschlossen. Wenige Jahre später folgten Stadt- und Kreisjugendringe.

Das Ziel der Jugendringe: Einen Beitrag zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft zu leisten und jungen Menschen neue Perspektive zu eröffnen. Schon in der ersten Satzung des Landesjugendringes wurden demokratische Werte verankert, etwa die Regel, dass alle Beschlüsse einstimmig gefasst werden mussten. Auch die Aufarbeitung des Nationalsozialismus wurde zu einer zentralen Aufgabe, der sich der Landesjugendring bis heute verpflichtet fühlt.

Für Frieden und Völkerverständigung

Die in der Nachkriegszeit lebende Generationen wurden geprägt durch die internationale Ächtung infolge der nationalsozialistischen Kriegsverbrechen und der Angst vor dem Kalten Krieg. Als Reaktion darauf, vertrat der Landesjugendring eine antimilitaristische, auf Völkerverständigung abzielende Haltung: „Alle Arbeit soll getragen werden von der Liebe zu Deutschland und von der Bereitschaft, alles zu tun, was dem Frieden und der Verständigung der Völker dient“ (Satzung des Landesjugendringes Rheinland-Pfalz vom 20. November 1953). Als Konsequenz beteiligte sich der Landesjugendring an den Protesten gegen die Regierung Konrad Adenauers, die eine Wiederbewaffnung Deutschlands sowie die Stationierung von US-amerikanischen Nuklearraketen forcierte. Der Landesjugendring mahnte 1958, diese Pläne nicht umzusetzen.

Neben der Ablehnung von Militarismus und Aufrüstung bemühte sich der Landesjugendring Rheinland-Pfalz um internationalen Austausch. Internationale Jugendcamps und Studienreisen förderten den Abbau von Vorurteilen und stärkten Beziehungen zu Ländern wie Frankreich, Israel und der Sowjetunion.

Soziale Unterstützung für die Nachkriegsjugend

Die Nachkriegsjahre waren geprägt von Armut und einem Mangel an Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche. In dieser Situation trat der Landesjugendring an die rheinland-pfälzische Landesregierung heran, um Fördergelder für Freizeitprogramme zu beantragen. Hieraus entwickelte sich bald eine Partnerschaft. Seit 1950 vermittelt der Landesjugendring staatliche Förderungen an seine Mitgliedsverbände.

Neben der finanziellen Versorgung der Jugendverbände, brachte sich der Landesjugendring auch in die Jugendgesetzgebung ein. Ein wichtiger Erfolg war 1953 die Einführung von Sonderurlaub für ehrenamtliche Gruppenleiter*innen. Der Landesjugendring etablierte sich rasch als politisches Sprachrohr für Kinder und Jugendliche und trieb die Gründung von Stadt- und Kreisjugendringen voran, um die Mitsprache auf kommunaler Ebene sicherzustellen.

Der Umbruch 1968: Eine neue Jugendbewegung entsteht

Ende der 1950er Jahre begann die Beteiligung in den Jugendverbänden des Landesjugendringes wieder zu sinken. Der Sinn der Jugendverbandsarbeit wurde zu der Zeit vor allem darin gesehen, Kinder und Jugendliche auf die für sie vorgesehenen gesellschaftlichen Rollen vorzubereiten. Jugendliche erschienen somit in erster Linie als Objekte eines gesellschaftlichen Bildungsauftrags. Dabei wurden eigenständige gesellschaftliche Interessen und Ziele junger Menschen kaum bedacht.  

Entsprechend wurden die Jugendfunktionär*innen der Verbände von den Jugendrevolten von 1968 überrascht. In ihr zeigte sich eine Jugendbewegung, die sich gänzlich jenseits der klassischen Jugendverbände entwickelt hatte. Das warf auch die Frage auf, ob Jugendverbände überhaupt noch zeitgemäß sind. Jugendpfarrer Böhm, langjähriger Vorsitzender des Landesjugendringes, sah in einer Rede anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Landesjugendringes in dem Schock die Chance auf Veränderung.

Die neue Jugendbewegung ab 1968 zeigte, dass sich die Akteur*innen der Jugendverbände neu orientieren mussten. Hierbei sah sich der Landesjugendring zunehmend in der Rolle des Vermittlers: Er ermöglichte es, die Forderungen der Jugend gegenüber Gesellschaft und Entscheidungsträger*innen zu vertreten.

Neues Ziel war es, den Perspektiven der Jugend in der Gesellschaft mehr Geltung zu verschaffen. Dies bedeutete auch Teilhabe- und Mitsprachemöglichkeiten für die Jugend  einzufordern und damit eine emanzipatorische Jugendarbeit zu gewährleisten. Der Landesjugendring setzte sich stark für die Wahlalterssenkung von 21 auf 18 Jahre ein, die 1972 umgesetzt wurde. Auch in der Gegenwart ist die Herabsetzung des Wahlalters, nun auf 16 Jahre, ein Anliegen des Landesjugendringes.

Rückblickend war die Zeit nach 1968 für viele Jugendfunktionäre*innen geprägt von schweren Grundsatzdiskussionen. Zugleich wurde sie aber auch als Zeit wahrgenommen, in der Platz war für innovative Neuerungen.

Professionalisierung und Mitgestaltung der Jugendpolitik in Rheinland-Pfalz

Die 1970er Jahre brachte gesellschaftlichen Aufbruch und Reformen, auch in der Jugendarbeit. So eröffneten sich auch für die Bildungs- und Jugendpolitik von Rheinland-Pfalz neue Spielräume. Für den Landesjugendring bedeutete dies, dass er sich an wesentlichen politischen Diskussionen beteiligte. Beispielsweise legte er einen Gesetzesentwurf für die Förderung außerschulischer Jugendbildung vor, gab ein Kinderspielplatzprogramm heraus und brachte sich in die Diskussion zur Schaffung von Jugendzentren ein.

Ein weiteres wichtiges Anliegen des Landesjugendringes war die Förderung hauptamtlicher Bildungsreferent*innen. Damit konnte der Landesjugendring einen wesentlichen Schritt zur Sicherung und Professionalisierung der Jugendarbeit in Rheinland-Pfalz beitragen. Trotz dieser Erfolge blieb die Situation für die Jugendverbandsarbeit finanziell prekär und ist es bis in die Gegenwart. Die Jugendsammelwoche ermöglicht es, Finanzierungslücken zu schließen und darüber hinaus andere gemeinnützige Zwecke zu unterstützen.

Staatliche Förderungen in der Jugendverbandsarbeit wurden nicht immer unkritisch betrachtet. Es gab Befürchtungen, dass der Staat durch die Vergabe von Fördermitteln Einfluss auf die Verbände nehmen und deren Souveränität einschränken könnte. Durch Sensibilität des Landesjugendringes für diese Gefahr hat sich diese Sorge jedoch nicht bewahrheitet.

Einsatz gegen Diskriminierung: Geschlecht, Behinderung, Rassismus

In den 1970er- und 1980er-Jahren rückten weitere Themen in den Vordergrund: Klimaschutz, die Solidarität mit der „Dritten Welt“ sowie die Bekämpfung von Diskriminierung betroffener und benachteiligter Gruppen.

Damit einhergehend wurde auch Geschlechtergerechtigkeit thematisiert: Die männliche Dominanz in der Jugendarbeit der Verbände, aber auch im Landesjugendring, wurde zunehmend hinterfragt und sollte überwunden werden. Dafür wurden spezifische Angebote für Mädchen und Frauen entwickelt und ihre Interessen in jugendpolitischen Forderungen bedacht. 1986 wurde mit Ursula Dinges erstmals eine Frau in den Vorstand des Landesjugendringes gewählt. Vier Jahre später veröffentlichte der Landesjugendring sein erstes frauenpolitisches Grundsatzpapier. Seit 2006 sieht die Satzung zudem Doppelspitzen für den Vorstand vor, die mit Personen unterschiedlichen Geschlechtes zu besetzen sind.

Auch der gesellschaftliche Umgang mit Behinderung wurde in den Blick genommen. Bereits 1980 nahm der Landesjugendring den Club Behinderter und ihrer Freunde auf.

Jugend und Jugendverbandsarbeit wurde somit zunehmend aus unterschiedlichen Perspektiven gedacht. 1992 setzte die Satzung ein klares Zeichen gegen Rassismus, Sexismus und antidemokratische Tendenzen – ein Engagement, das bis heute Kern der Arbeit ist.

Jugendverbandsarbeit in einer Zeit der Individualisierung und Kommerzialisierung

Seit den 1990er-Jahren verschlechterte sich die Situation der Jugendverbände durch die Individualisierung der Gesellschaft. Die immer unsicherer werdenden Lebens- und Arbeitsbedingungen erschwerten zusätzlich das ehrenamtliche Engagement. Zugleich mussten sich die Jugendverbände gegen ein Überangebot kommerzieller Freizeitangebote und das Aufkommen neuer Medien behaupten.

Die Jugendverbandsarbeit reagierte mit neuen Ansätzen, offenen Formaten und der Einführung von Erlebnispädagogik. Dabei brachte sie sich immer wieder in aktuelle gesellschaftliche Themen ein. Jugendverbände bleiben somit Werkstätten der Demokratie, in denen sich Kinder und Jugendliche politisch und gesellschaftlich ausprobieren können und ihren Interessen Gehör verschaffen.

Herausforderungen der Gegenwart

Auch im 21. Jahrhundert entwickelt sich der Landesjugendring weiter. Viele Themen wie die Bekämpfung von Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung und Kinder- und Jugendarmut und die Forderung nach dem Wahlalter 16 bleiben aktuell. Diese Themen werden vielfältig ergänzt durch Anerkennung des Ehrenamtes, Rechte von Jugendlichen ohne Aufenthaltspapiere oder Adultismus. Adultismus, die Abwertung der Interessen junger Menschen durch Erwachsene, wurde auf der Vollversammlung 2020 als eigenständige, zu bekämpfende Diskriminierungsform anerkannt. Zudem wurde Geschlechtersensibilität als Thema wieder in den Fokus gerückt.

In der Corona-Krise ab 2020 wurden Kindern und Jugendlichen durch die Bekämpfungsmaßnahmen Kontakt- und Entfaltungsmöglichkeiten genommen. Dem Landesjugendring gelang es dennoch, gemeinsam mit Unterstützung des Ministeriums für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz eine Sonderförderung zu erwirken, um Jugendverbandsarbeit auch unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie möglich zu machen. In dieser Zeit haben die Jugendverbände neue und kreative (digitale) Angebote entwickelt, durch die den Kindern und Jugendlichen Freizeitbeschäftigung und Kontakt zu Gleichaltrigen angeboten werden konnten.

Der Klimawandel und die Rückkehr des Krieges nach Europa sind weitere Krisen , die insbesondere die jüngeren Generationen betreffen und die Notwendigkeit einer entsprechenden Interessenvertretung drastisch verdeutlichen.

Der Landesjugendring bleibt somit auf der Höhe der gesellschaftlichen Diskussionen, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen aller Geschlechter und jeder Herkunft wahrzunehmen und deren politische Partizipation sicherzustellen.

Ein starker Partner für die Jugend

Von der Gründung in der Nachkriegszeit bis heute ist der Landesjugendring Rheinland-Pfalz ein verlässlicher Partner für Kinder und Jugendliche. Er engagiert sich für Partizipation, Vielfalt und die demokratische Weiterentwicklung der Gesellschaft – und das seit 75 Jahren.